Frauen erobern die Musikbranche
Noch liegt der Anteil von Frauen in der professionellen Musikindustrie bei unter zehn Prozent. Zudem arbeiten die meisten in Assistenz-Positionen. Dass es auch anders geht, zeigen Frauen wie die vierfache Grammy-Gewinnerin und Mastering-Spezialistin Darcy Proper (AC/DC, David Garrett, Eric Clapton u.v.m.) und die Filmmusik-Produzentin Isobel Griffiths (u.a. „Herr der Ringe“). Am Abbey Road Institute Frankfurt und Berlin liegt der Frauenanteil bei rund 20 Prozent. Grund genug, sich einmal mit den Ladies und mit Darcy Proper über ihre Sicht auf die Branche zu unterhalten.
Mira Schulte Strathaus und Michelle Williams stecken gerade in den Abschlussprüfungen zum „Advanced Diploma in Music Production and Sound Engineering“ am Abbey Road Institute Frankfurt. Zwölf Monate haben sie gelernt, wie professionelle Mischpulte und Software zu bedienen sind, worauf es bei Komposition, Arrangement, Recording und Mixing eines Songs ankommt, wie man Musik vermarktet und welche rechtlichen Aspekte es zu beachten gilt. Auch in Berlin steht gerade eine Frau kurz vor dem Diploma. Die 20-jährige Megan Ashworth ist dafür extra aus einem beschaulichen bayrischen Ort in die Hauptstadt gezogen. Sie gehören zu den rund 20 Prozent weiblicher Studierender des Abbey Road Institutes in Deutschland. „Eine Quote, die“, so Tolga Tolun, Geschäftsführer des Abbey Road Institutes Germany, „Hoffnung auf eine wachsende Beteiligung von Frauen in der Audio-Branche macht.“ Jetzt machen sich die drei auf den Weg in die Musikindustrie, sind hochmotiviert und so gar nicht abgeschreckt vom männlichen Image der Branche.
Ausbildung zum Musikproduzenten und Sound Engineer am Abbey Road Institute
Mira (l.) und Michelle (r.) kurz vor der Abschlussprüfung am Abbey Road Institute Frankfurt
Warum habt Ihr Euch für die Ausbildung am Abbey Road Institute entschieden?
Mira: Ich habe ein Praktikum im Tonstudio meines Onkels gemacht und dann ein Jahr Musikwissenschaften an der Uni studiert. Das war mir aber zu wenig praktisch. Deshalb habe ich nach einer Ausbildung gesucht, die mich besser auf diese Branche vorbereitet und bin durch einen Zeitungsartikel auf das Abbey Road Institute aufmerksam geworden. Die Abbey Road Studios haben eine lange und für die Musikindustrie sehr bedeutende Historie. Die Ausbildung am Abbey Road Institute greift auf dieses Wissen und diese Erfahrung zurück. Dadurch gibt sie einen sehr guten Überblick über die Entwicklung der Musikproduktion und bietet mir viele Möglichkeiten.
Michelle: Besonders gut finde ich, dass sich diese Ausbildung an Menschen richtet, die eine große Leidenschaft für Musik in sich tragen und zudem die technischen Fertigkeiten erlernen wollen, welche für eine professionelle Produktion wichtig sind.
Megan: Seit ich denken kann, singe ich, spiele Klavier, habe schon mit neun Jahren meine ersten Songs geschrieben und mir war eigentlich immer klar, dass ich einen Beruf in der Musikindustrie ausüben will. Nur wusste ich nicht, ob es mich in die kreative, schaffende Richtung oder eher in die technische Welt der Musik verschlagen sollte. Im Internet bin ich auf das Abbey Road Institute gestoßen, welches beide Bereiche vereint. Schon bei meinem ersten Besuch hatte ich einen sehr familiären und gleichzeitig professionellen Eindruck. Außerdem fand ich die Studios top.
Was hat Euch an der Ausbildung zum Musikproduzenten und Sound Engineer besonders gut gefallen?
Michelle: Dass hier ein so starker Fokus auf der Musik liegt. Denn darum ging es mir, als ich mich für die Ausbildung entschieden habe. Ich wollte lernen, selbständig und in hoher Qualität meine eigene Musik zu produzieren. Am Abbey Road Institute wird nicht nur theoretisches und technisches Wissen vermittelt, sondern es wird auch unsere musikalische Kreativität weiterentwickelt. Das liegt vor allem an der hohen Qualität der hiesigen Dozenten. Alle sind Branchenprofis. Sie vermitteln nicht nur den Lernstoff sehr praxisnah, sondern wir haben auch viel über das alltägliche Miteinander in der Branche lernen können.
Mira: Das kann ich nur bestätigen. So sind hier z.B. inklusive der Abschlussprüfung vier eigene musikalische Projekte Pflichtbestandteile der Ausbildung, es gibt einen Themenblock Filmmusik und wir haben hier viele hochwertige Instrumente und umfangreiches Equipment, das wir nutzen können. Eigentlich macht hier immer jemand Musik. Das gemeinsame Arbeiten an musikalischen Projekten und die Möglichkeit, mit externen Musikerinnen und Musikern zusammenzuarbeiten – in meinem Fall mit der Frauen-Metal-Band „Revolution Eve“ – hat mir besonders viel Spaße gemacht.
Megan: Ja, die musikalische Entwicklung, die ich hier durchlebt habe, ist immens. Die Ausbildung ist sehr anspruchsvoll und man muss im Unterricht immer gut mitmachen, damit man später bei den Prüfungen keine Wissenslücken hat. Insgesamt hängt es sehr von einem selbst ab, wie gut man die Chance, hier in relativ kurzer Zeit viel zu lernen, nutzt. Ich habe in diesem Jahr vor allem gelernt, wo meine Stärken liegen.
Megan Ashworth
Wie stellt Ihr Euch Eure Zukunft in der Musikindustrie vor?
Megan: Mein Traum ist es, mit Songwriting durchzustarten, Lieder zu schreiben, die eine große Anzahl Menschen erreichen und so fühlen lassen, wie es meine Lieblingslieder bei mir tun.
Mira: Ich wünsche mir, gemeinsam mit zwei oder drei anderen Leuten ein eigenes Studio zu betreiben. Aber erst mal werde ich weiter lernen, mein Wissen ausbauen und Erfahrungen sammeln. Ich kann mir auch vorstellen, dafür ins Ausland zu gehen.
Michelle: Auch ich möchte weiterhin meine eigene Musik machen und wünsche mir, in einer festen Anstellung als Sound Engineer mein Geld zu verdienen. Auch wenn es erst mal nicht so leicht zu sein scheint, einen festen Job zu bekommen, sehe ich doch an Leuten, die vor mir die Ausbildung hier abgeschlossen haben, dass es geht. Schließlich lautet mein Motto „Wenn ich dranbleibe, kann ich alles schaffen.“
einstieg in die Musikindustrie
Drangeblieben ist Lucy Pape. Die 19-Jährige hat im vergangenen September den Kurs „Advanced Diploma in Music Production and Sound Engineering“ am Abbey Road Institute Frankfurt abgeschlossen, in der Zwischenzeit die Single „Lass mal raus“ veröffentlicht und ist mittlerweile beruflich dort gelandet, wo andere Urlaub machen.
Lucy, was machst Du jetzt, ein halbes Jahr nach Deinem Abschluss?
Lucy: Ich arbeite auf Fuerteventura im Robinson Club als „Sound & Light“. Die Stelle habe ich im Internet gefunden und mich einfach darauf beworben.
War es bei der Einstellung ein Thema, dass Du eine Frau bist?
Lucy: Beim fachlichen Casting überhaupt nicht. Da zählte nur das Können. Ich hätte sofort in einem Club anfangen können, in dem sehr viele Shows stattfinden. Allerdings hätte ich dort nicht nur den Sound machen, sondern fast täglich die komplette große Bühne auf- und abbauen müssen. Wegen der hohen körperlichen Belastung hat man mir davon abgeraten und ich bin hierher nach Fuerteventura gegangen. Der Bühnenaufbau und -abbau gehört zwar auch hier zu meinen Aufgaben, aber eben nicht in diesem Umfang.
Was genau sind Deine Aufgaben?
Lucy: Die sind ganz breit gefächert. Zum einen gibt es zwei Theatershows pro Woche, welche auf- und abgebaut sowie mit Ton und Licht begleitet werden müssen. Dann gibt es regelmäßige Live-Events mit Bands, die ich mische. Jeden Tag spielt mehrfach ein DJ an verschiedenen Positionen im Club. Auch für den muss alles auf- und abgebaut werden. Und natürlich gibt es noch viele kleinere Aktivitäten, wie z.B. das tägliche Quiz, für das ein Mikrofon und ein kurzer Jingle benötigt werden, Fitnesskurse wie Aquafit etc. – auch hier sind Musik und Mikrofon im Einsatz. Ich habe also mit allem was zu tun, was Ton benötigt.
Vom Abbey Road Institute Frankfurt nach Fuerteventura: Alumni Lucy Pape
Spürst Du im Berufsalltag so etwas wie Diskriminierung aufgrund Deines Geschlechts?
Lucy: Anfangs hatte ich schon das Gefühl, dass ich mich erst beweisen muss. Allerdings weiß ich nicht, ob das am Geschlecht lag, am Alter oder daran, dass ich neu war. Die Ausbildung hat mir jedenfalls ein sehr gutes Grundgerüst in vielen Bereichen gegeben und kommt mir hier sehr zugute. Es wird nur sehr häufig betont, dass man bisher nicht so häufig Frauen in diesem Team gesehen hat. Ansonsten kein Problem (lacht).
Sound Engineering – ein Männerberuf?
Was sagen die anderen dazu? Glaubt Ihr, dass es für Frauen schwieriger ist, in dieser Branche erfolgreich zu sein?
Megan: Ich denke, es gibt sicherlich noch Situationen, in denen man sich als Frau mehr beweisen muss. Denn trotz vieler Bemühungen um Gleichstellung von Frau und Mann, gibt es immer noch Menschen, die altmodisch denken und Männern in der Tontechnik den Vorzug geben würden. Doch davon lasse ich mich nicht einschüchtern.
Michelle: Im Gegensatz zu früher, wo es fast unmöglich war, als Frau in dieser Branche einen Arbeitsplatz zu bekommen, haben sich die Zeiten heute hoffentlich geändert und Frauen haben mittlerweile reelle Chancen. Ein gutes Beispiel ist Isabel Griffiths, die für eine Reihe von Filmen wie Harry Potter und Stars Wars gearbeitet hat oder eben Darcy Proper. Da ich selbst aber noch nicht in der Branche gearbeitet habe, kann ich auch noch nichts zu eigenen Erfahrungen sagen.
Mira: Es ist schon noch so, dass in der Branche oft von TonMÄNNERN und AssitentINNEN geprochen wird. Das ist aber eher ein von der Vergangenheit geprägte Bild und sollte nicht als Ausrede dienen. Jeder Mensch, der denkt, Technik sei Männersache und Frauen wären generell nicht in der Lage, technische oder traditionell männerbesetzte Berufe auszuüben, sollte dringend sein oder ihr Betriebssystem updaten und sich die Welt noch einmal genauer anschauen!
Darcy Proper – Profi in der Audiobranche
Eine, die es wissen muss, ist Darcy Proper. Die sympathische Amerikanerin ist Mastering Engineer, vielfach ausgezeichnet (u.a. vier Grammys und elf Grammy-Nominierungen), arbeitet in den Wisseloord-Studios im niederländischen Hilversum und ist Dozentin am Abbey Road Institute Amsterdam.
Mastering Engineer Darcy Proper wurde vier Mal mit dem Grammy ausgezeichnet und elf Mal nominiert
Darcy, Du arbeitest seit fast dreißig Jahren in dieser überwiegend männlichen Branche, hast vier Grammys gewonnen und mit dem Who is Who der Musikszene zusammengearbeitet. Wie sind Deine Erfahrungen als Frau in der Musikproduktion?
Im Allgemeinen sind meine Erfahrungen sehr positiv. Im Live-Sound-Bereich, in dem ich anfangs tätig war, waren zwar einige überrascht und einmal tatsächlich davon genervt, mit einer Frau zusammenarbeiten zu müssen. Aber das hat mich nicht gestört. Ich wusste, was ich tun wollte und habe mich genau darauf konzentriert.
Müssen Frauen in der Musikbranche auf bestimmte Dinge achten?
Nein, sie sollen einfach machen. Es ist wichtig, sich selbst kritisch gegenüberzustehen und sich ständig herauszufordern, um besser zu werden, statt sich nicht von der Angst, Fehler zu machen, lähmen zu lassen. Ihr solltet akzeptieren, dass ihr, wie alle anderen, die gerade im anspruchsvollen und sich ständig verändernden Bereich der Audio-Technik beginnen, Fehler machen werdet.
Für junge Frauen ist es jedoch besonders wichtig, dass ihr euch stets bewusst seid, dass ihr Fehler macht, weil ihr in der professionellen Arena „jung und dumm“ seid! Ihr macht sie NICHT, weil ihr „weiblich“ und daher „dumm“ seid, was Audio angeht. Eure männlichen Kollegen machen auch Fehler, weil auch sie „jung und dumm“ sind. Wir sind oft unsere eigenen schlimmsten Kritiker und zerstören unser eigenes Selbstbewusstsein mehr als jeder andere es könnte. Ihr werdet Fehler machen, das ist normal. Wie ihr mit der Situation umgehen, wenn ihr einen Fehler macht, ist das, was die „Spreu vom Weizen“ trennt. Das ist Professionalität. Lasst euch also nicht durcheinanderbringen!
Durch die vielen Jahre, die ich in dieser Branche arbeite, kann ich sagen, dass die Unterstützung und Ermutigung, die ich von meinen männlichen Kollegen erhalten habe, die wenigen „Neinsager“ bei weitem überwog. Natürlich gibt es sexistische Idioten in allen Berufen. Meine Erfahrung ist jedoch, dass die große Mehrheit der Männer in dieser Kreativbranche aufgeschlossen und aufgeklärt ist, nicht nur im Hinblick auf das Geschlecht, sondern auch auf Rasse, Sexualität und religiöse Überzeugungen. Wenn ihr zeigt, dass ihr eure Arbeit erledigt und gut mit anderen zusammenarbeiten könnt, seid ihr Teil des Teams.
Welche Tipps gibt’s Du dem Nachwuchs für das alltägliche Arbeiten?
Wenn Ihr neu im Job seid, ist es wichtig:
- in der Kommunikation klar zu sein und Hinweise ernst zu nehmen. Ihr müsst lernen, wann Ihr etwas sagen solltet und wann Ihr besser still seid.
- gut organisiert zu sein – insbesondere, wenn Ihr Sessions dokumentiert. Die Details zählen.
- konstruktive Kritik als wichtigen Bestandteil Eurer Weiterentwicklung anzunehmen und sie nicht mit Gender-Vorurteilen zu verwechseln. Sonst verschwendet Ihr eine Menge Energie und Zeit, die Ihr besser mit Lernen verbringen solltet.
- auf die Grundlagen des Signalflusses und des Audiomaterials zu achten, damit Ihr Eure Arbeit technisch einwandfrei ausführen könnt.
- stets Euer Gehör zu trainieren, indem Ihr alle Musikstile bewusst hört. Schließlich ist ein gut geschultes Gehör Euer wichtigstes Werkzeug. Nur damit könnt Ihr beurteilen, ob eine Mischung wirklich funktioniert.
Das gilt natürlich für Frauen und für Männer (lacht).
Verband Deutscher Tonmeister (VDT) wünscht sich mehr Frauen an den Mischpulten
Unterstützung gibt es auch vom Verband Deutscher Tonmeister (VDT), mit dessen Regionalgruppe Frankfurt das Abbey Road Institute kooperiert. Jörn Nettingsmeier, Vorstandsmitglied des VDT, wünschte sich 2017 in einem Interview mit Yvonne Scheller (WAZ), „dass noch mehr Frauen ans Pult drängen würden. Der Frauenanteil ist in unserer Branche einfach zu gering. Das ändert sich zwar gerade, aber langsam. Darum: Jede weitere Frau hilft.“
In diesem Sinne bedanken wir uns herzlich bei Darcy Proper, Mira Schulte Strathaus, Michelle Williams, Megan Ashworth und Lucy Pape dafür, dass sie mit uns über das Thema „Frauen in der Musik-Produktion“ gesprochen haben.
Zu Darcy Proper gibt es auch einen Blog-Beitrag auf der Seite des Abbey Road Institute Amsterdam.
Anlässlich des internationalen Frauentags haben auch andere Abbey Road Institutes rund um den Globus inspirierende Blogbeiträge veröffentlicht. Auch sie beschäftigen sich mit Frauen, die in der Musikbranche etwas bewirken. Den Londoner Beitrag über deren Alumnis Marta und Lizzie findet Ihr hier. Über starke Frauen, die in Australien als Sound Engineer und Musikproduzentinnen arbeiten, könnt Ihr Euch hier
informieren.
Mehr zur Ausbildung am Abbey Road Institute findet Ihr hier.
Text: Susi Schiller