Musik-Streaming: Was muss ich als Künstler*in beachten?
Knapp 60.000 neue Songs werden täglich bei Spotify hochgeladen. Fast 22 Millionen im Jahr. Noch nie war es so einfach seine eigenen Songs der Welt vorzustellen. Doch wie schafft man es sich bei dieser riesigen Konkurrenz Gehör zu verschaffen? Und sind die Musik-Streaming-Dienste Fluch oder Segen? Lars Lewerenz, CEO des Hamburger Musiklabels Audiolith-Records klärt uns auf und hat einige Tipps für Künstler*innen parat.
Musik-Streaming ist heute zur Normalität geworden und dennoch stehen Dienste wie Spotify oder Apple Music immer wieder in der Kritik. Künstler*innen fordern eine gerechtere Ausschüttungspolitik, die Algorithmen scheinen schwer nachvollziehbar, wer nicht bei einem Major Label ist, hat es viel schwerer, gefunden zu werden, etc. Zu diesem Thema starten wir eine kleine Interviewreihe mit verschiedenen Protagonisten im Musikgeschäft.
Wir beginnen mit Lars Lewerenz, CEO des Hamburger Musiklabels Audiolith-Records. Dort sind Künstler wie Egotronic, Feine Sahne Fischfilet oder Frittenbude unter Vertrag.
Audiolith hat sich schon sehr früh mit der Digitalisierung des Musikmarktes auseinandergesetzt und ist neue Wege gegangen, um seine Künstler*innen den Fans näherzubringen. Dies geschah zu einer Zeit, als das Internet noch der Staatsfeind Nr.1 für die etablierte Musikindustrie war. Lars kann man also nicht nur als Pionier sondern auch als erfahrenen Zeitzeugen in diesem Metier betrachten, der ein wenig Licht in dieses Business bringen kann. Und das könnte Dir helfen, Deine Musik unter den richtigen Voraussetzungen zu veröffentlichen.
ARI: Eure Künstler*innen sind ja auch in Musik-Streaming-diensten wie Spotify vertreten. Gerade Audiolith hat schon Anfang der 2000er die Digitalisierung für sich entdeckt und z.B. Free Tracks als kostenlose Downloads für die Fans zur Verfügung gestellt. Wann kam für Euch die Entscheidung, Eure Künstler auf Streaming-portalen einzustellen?
Lars: Wir haben 2003 im schlimmsten Jahr für die Musikindustrie angefangen. Damals waren die Umsätze total am Boden. Audiolith hat dann das Internet wie z.B. Myspace oder Micromusic.net genutzt, um sich quasi ohne Budget mit Menschen zu verbinden und ist so 2005 zu einer Tour mit Plemo und Egotronic nach Russland gekommen. Wir hatten also immer schon den Ansatz, sich die digitalen und technischen Möglichkeiten Untertan zu machen, um unsere Musik zu promoten und eine Connection zu den Fans herzustellen.
2004 hat uns Broken Silence angeboten, unsere Künstler*innen auch digital zu vertreiben und ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit einem Kollegen von Grand Hotel van Cleef, dass auf einmal kleine Beträge von itunes auf unseren Konten eintragen. Da haben wir es erst richtig begriffen, welche Möglichkeiten sich uns und unseren Künstler*innen hier bieten. Und dieses Geschäft hat sich in den letzten 20 Jahren so extrem verändert, auch durch Spotify, dass es heute ohne Musik-Streaming gar nicht mehr funktionieren würde.
+++ Musik-Streaming ist Fluch und Segen +++
ARI: Nachdem ja viele namhafte nationale und internationale Künstler*innen gerade Spotify vorgeworfen haben, die Künstler*innen nicht sachgerecht zu bezahlen, hat Spotify die Verteilungsschlüssel offengelegt. So bleiben 70% der Einnahmen bei den Rechteinhabern und 30% bei Spotify. Je nach Vertrag mit dem Label kann da unter Umständen doch recht wenig bei den Künstlern ankommen. Wie siehst Du die Problematik?
Lars: Musik-Streaming ist Fluch und Segen zugleich, wir nutzen es ganz klar zur Promotion und Einkommensgenerierung. Wir sind aber nicht nur ein Label, wir haben auch einen Verlag, eine Booking Agentur und bieten Merchandize, je Künstler*in partizipieren wir natürlich mehrfach durch unsere Dienste, die wir anbieten.
Viele Künstler*innen haben aber teilweise gar nicht auf dem Schirm, um was wir uns als Label alles kümmern. Stichwort Neighbouring Rights, es gibt weltweit 50 – 60 Schwestergesellschaften von Verwertungsgesellschaften, die alle bearbeitet und bedient werden müssen, das ist ein Haufen Arbeit, um die wir uns als Label kümmern, um den Künstler*innen den Rücken frei zu halten.
Lars Lewerenz
ARI: Nutzt Ihr auch andere Streaming-Plattformen? Und wenn ja, wie stark würdest Du sie im Markt verorten?
Lars: Wir arbeiten mit dem Digitalvertrieb The Orchard, welcher unsere Musik weltweit vertreibt. Dort ist natürlich Spotify der Hauptprotagonist, gefolgt von Apple Music. Allerdings kommt es auch immer ein wenig auf das Genre an, hier ist im Technobereich Beatport ein wichtiger Faktor.
+++ Eine neue Technologie als Alternative? +++
ARI: Mittlerweile ist auch die NFT-Technologie im Gespräch, mit der man Werken ein Einzigartigkeit Merkmal zuweisen und diese via Kryptowährung anbieten kann, so wie es Kings of Leon getan und viel Geld damit verdient haben. Habt Ihr diese Idee auf dem Schirm?
Lars: Ich hab davon gehört und dachte mir, als ich etwas das zu gelesen habe, wie krass diese Idee eigentlich ist. So hat DJ Steve Aoki wohl 4,2 Millionen Dollar Umsatz damit gemacht und ein Ex-Telekom-CEO hat ein Werk für 888.888 Dollar gekauft, das muss man erst einmal verarbeiten. Nur auch hier gilt zu berücksichtigen, das sind große Künstler*innen, die derartige Preise aufgrund ihrer Bekanntheit aufrufen können.
ARI: Beim Streaming zählen ja Clicks. Und während das Radio in den 80er Jahren maßgeblich an der 3,5 Minuten Songdauer beteiligt war, zeichnet sich jetzt ab, dass immer mehr Künstler*innen gerade aus dem HipHop nur noch 2 – 2,5 Minuten Tracks releasen, um höhere Klickzahlen zu generieren. Was hältst Du davon?
Lars: Ich finde, ein guter Song ist ein guter Song, egal, wie lang oder kurz er ist und egal ob er im Radio gespielt wird oder nicht. Punkt. Wir nehmen da auch keinen Einfluss auf unsere Künstler*innen. Natürlich schauen wir in der Selektion für die Radio Promotion immer noch darauf, ob ein Song sich hier eignet, das gehört zu unserem Job.
ARI: Findest Du den Algorithmus fair oder sagen wir einmal nachvollziehbar, der auf Spotify stattfindet, wenn es um Songvorschläge geht? Oder haben Indie-Künstler*innen ein deutliches Nachsehen?
Lars: Anhand meines Userverhaltens wundere ich mich teilweise schon, was mir da vorgeschlagen wird. Ich denke, das sollte redaktionell besser aufgearbeitet werden.
ARI: Wieviel machen Streaming-Einnahmen bei Eurem Label mittlerweile aus?
Lars: Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass Musik-Streaming einen hohen Anteil unserer Einnahmen ausmacht. Ohne das würde es nicht mehr funktionieren. Gerade bei Bands die schon länger am Start sind und einen guten Backkatalog haben. Es ist ja so, man presst heute immer konservativer, holt die Fans mit physischen Tonträgern zum Release ab, dann kommt eine Tour und danach fällt die Verwertung aus diesem Bereich drastisch ab. Und da ist Streaming wiederum extrem wichtig geworden!
+++ Du musst eine Geschichte erzählen! +++
ARI: Wie bewerbt Ihr ein neues Album oder einen neuen Song, der z.B. auf Spotify erscheint?
Lars: Wir fangen beim Release eines neuen Songs grundsätzlich mit einem Video Release an. Diese audio-visuelle Verbindung ist für die Fans und die Aufmerksamkeitsgenerierung essentiell. Dann werden die Communities der Bands über sämtliche Social Media Kanäle angeteasert und das Playlist Business ist auch sehr wichtig, also gezielte Playlists zu erstellen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Natürlich bearbeiten wir auch sämtliche Presseformate im Print-, TV-, Radio und Onlinebereich. Da letzteres aber immer schwieriger wird, versuchen wir unsere Releases auch über eigene Formate wie Videointerviews etc. zu bespielen, die wir natürlich selbst finanzieren müssen. Und da wir sehr nah an unseren Künstler*innen sind und auch als Label sehr nahbar sind, erzählen wir eigentlich unsere eigene Geschichte, was auch einen wichtigen Aspekt in der Fanbindung hat.
Feine Sahne Fischfilet, seit 2012 bei Audiolith unter Vertrag
ARI: Welche sind die Kardinalfehler, wenn man sich ins Musik-Streaming-geschäft begibt? Also hast Du ein paar Tipps, die Du mit den Lesern teilen möchtest?
Lars: Wenn Du keine Erwartungen hast, dann baller dein Material einfach raus. Und natürlich gibt es die oft zitierten Beispiele von viralen Hits, die sind aber beileibe nicht die Regel! Ansonsten sollte man sich solide aufstellen. Einfache Fragen wie „habe ich meine Pressebilder am Start, habe ich einen kleinen Infotext dazu, ein Video und sind meine Social Media gut aufgestellt?“, sollten schon geklärt sein.
Man muss sich schon ein Konzept überlegen, was will ich darstellen, welche Geschichte will ich erzählen, wie erzähle ich diese z.B. auf den Social Media Plattformen. Auch ein realistischer Zeitplan ist essentiell, denn das wird ein langer und harter Weg. Und auch hier ist das Alleinstellungsmerkmal sehr wichtig. Man sollte sich eben nicht daran orientieren, was die anderen alles machen. Ruhig mal ein paar Hirngespinste und krude Ideen raushauen, sich regelmäßig zu reflektieren und zu verbessern, bilden da schon eine gute Basis.
ARI: Was bietet mir ein Label an Vorteilen, wenn ich auf Spotify gehe? Wird man aufgrund des Label Katalogs eher wiedergefunden oder vorgeschlagen? Ist ein Label ein guter Faktor für den Algorithmus?
Lars: Auf jeden Fall. Ein Label bietet gerade in der Außenwahrnehmung auch einen gewissen Geschmacksfaktor. Wenn die Leute z.B. über Audiolith reden, dann wissen sie ziemlich genau, welche Einstellung und Musik unter diesem Dach zu erwarten ist. Einen Track einfach auf Spotify hochzuladen ist ja keine Kunst, da gibt es genügend Content-Aggregatoren, da loggt man sich einfach ein und hat seine Musik überall angeboten. Die Menschen wollen ja unterhalten werden, sie wollen Geschichten erzählt bekommen. Und da ist nichts nerviger als, die permanente Aufforderung auf Instagram, sich mal meinen neuen Song anzuhören.
Sicherlich kann man alles selber machen, das ist auch legitim. Ich denke aber, dass ein Label wie wir eine gute Verbindung von professionellen Strukturen und Beratung ins Spiel bringt, was den Künstler*innen einen besseren Fokus auf die eigentliche Arbeit ermöglicht. Da sind zum Beispiel Steuererklärungen zu machen und wenn man das professionell machen will, dann sollte man sich mit Partner*innen einlassen, die in diesem Bereich Erfahrung und Know How haben, um eben den Rücken frei zu haben.
Vielen Dank für das Interview, Lars!
Interview: Marc Weissenberg Bearbeitung: Yannick Sahlmen